Raum für das, was man nicht googeln kann
Junge Menschen treiben Wandel – wenn wir ihnen inneren Freiraum geben. Der World Youth Skills Day macht deutlich, dass Lernen heute mehr denn je Haltung braucht. Und wie Unternehmen diesen Weg begleiten können.
In meinem Alltag – beruflich und privat – erlebe ich es immer wieder: Junge Menschen bringen frische Ideen, neue Perspektiven und eine ordentliche Portion Neugier mit. Sie hinterfragen, denken quer, wollen gestalten. Das ist inspirierend. Und es zeigt, wie wichtig eine Kultur des Lernens ist, die genau das fördert. Der World Youth Skills Day am 15. Juli ist ein guter Moment, darüber nachzudenken: Was bedeutet Lernen heute eigentlich – und wie können wir junge Menschen darin stärken?
Unsere Welt wird immer komplexer und brüchiger. Klimawandel, Digitalisierung, Angriffe gegen die Demokratie – all das fordert neue Lösungen. Es reicht längst nicht mehr, vorhandenes Wissen nur zu vertiefen. Und schon gar nicht, in simple Antwortmuster zu verfallen. Wir müssen auch lernen, unser Denken immer wieder neu auszurichten. Und dabei auch Mehrdeutigkeiten und Widersprüchen klarkommen, Stichwort Ambiguitätstoleranz.
Zwischen Tempo und Orientierung
Gerade junge Menschen bewegen sich scheinbar mühelos in digitalen Räumen. Sie sind schnell, vernetzt, kreativ. Gleichzeitig stehen sie unter hohem Druck – denn die Welt, in der sie agieren, ist ständig im Wandel. Orientierung fällt da nicht leicht. Umso wichtiger ist es, ihnen nicht nur Werkzeuge an die Hand zu geben, sondern auch Räume, in denen sie Stärke entwickeln können. Räume für Selbstreflexion, für einen inneren Kompass – für das, was man nicht googeln kann.
Wenn Lernen Haltung schafft
Transformatives Lernen schafft genau solche Räume. Es verlangt nicht nach schnellen Antworten, sondern stellt die richtigen Fragen: Warum machen wir das so? Was wäre, wenn es noch nichts gäbe – wie würden wir es gestalten? Solches Lernen ist unbequem, aber wertvoll. Es schafft nicht nur Know-how, sondern Haltung.
Und genau die brauchen wir, um zukunftsfähig zu bleiben. Für sozialen Fortschritt und für technologische Innovationen, so wie sie auch in meiner Branche, der Chemie- und Kunststoffindustrie, stattfinden. Und dieser Wandel beginnt nicht in der Technik, sondern im Denken.
Wie wirkungsvoll das sein kann, zeigt das Beispiel von Tim Wirtz, 26 Jahre alt und Mitarbeiter im HR-Team von Covestro. Angeregt durch Gespräche mit seinem Teamleiter entwickelte er eine automatisierte Lösung für das Matching im internen Mentoring-Programm – ein Prozess, der bislang aufwändig manuell erfolgte, um herauszufinden, welche Mentoren und Mentees am besten zusammenpassen. Mithilfe von KI und Eigeninitiative entstand ein neues System, das heute rund 95 Prozent der bisherigen Arbeitszeit einspart. Grundlage für diese Veränderung war nicht nur technisches Know-how, sondern vor allem eins: Tim Wirtz bekam genügend Raum für Dialog, Kreativität und Reflexion.
Diesen Raum schafft Covestro auch außerhalb des Unternehmens. Etwa mit dem deutschlandweiten Recherchewettbewerb „Zukunft braucht Wahrheit“, in dem unser Unternehmen Schülerinnen und Schüler aufgerufen hatte, Ideen zu gesellschaftspolitischen Herausforderungen zu entwickeln. Oder durch die Unterstützung des Europäischen Jugendparlaments, wo wir ein demokratisches, lösungsorientiertes Miteinander fördern.
Vertrauen statt Vorgaben
Wenn ich daher heute auf den World Youth Skills Day blicke, sehe ich keinen Aktionstag, sondern eine Einladung: Lernen neu zu denken – nicht als Pflicht, sondern als gemeinsame Chance. Manchmal braucht es weniger Vorgaben und mehr Vertrauen. Weniger Planung, mehr Zuhören. Und den Mut, junge Menschen nicht nur zu führen, sondern sich von ihnen überraschen zu lassen. Denn gerade darin liegt oft der Impuls zur Veränderung.