Faktor Mensch und Faktor Maschine – so wird Deutschland produktiver
Um Deutschland wieder nach vorne zu bringen, muss auch die Arbeitswelt effizienter werden. Dazu sollten wir insbesondere auf Künstliche Intelligenz setzen, die Motivation der Beschäftigten erhöhen – und uns ehrgeizigen Ziele verschreiben.
1.343 Stunden: die durchschnittliche Arbeitszeit der Deutschen im Jahr 2023. Damit ist die drittgrößte Industrienation der Welt das Schlusslicht unter der 38 Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ob angesichts dessen nun mehr gearbeitet werden muss, wie es Friedrich Merz in seiner ersten Regierungserklärung gefordert hat, möchte ich mit Blick auf mehr als eine Milliarde Überstunden dahingestellt lassen. Klar widersprechen will ich auf jedem Fall populistischem Getöse, hier sei ein Land der Faulpelze und Sozialschmarotzer. Ganz im Gegenteil!
Aber der Bundeskanzler hat eindeutig Recht, wenn er sagt, dass wir vor allem effizienter arbeiten müssen. Denn Fakt ist: Die Arbeitsproduktivität – also das Ergebnis der Arbeit im Verhältnis zum Aufwand wie etwa der Zahl der Arbeitsstunden – befindet sich konstant im Sinkflug. Dieser Wert gibt Auskunft über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit den materiellen Wohlstand unseres Landes. Lag das Produktivitätswachstum insgesamt bis in die Mitte der Nullerjahre noch bei weit über einem Prozent, ist es in den 2020ern auf magere 0,4 Prozent zusammengeschrumpft. Wenn wir uns demgegenüber wachsende Staatsausgaben etwa im Gesundheitswesen vor Augen führen (im OECD-Vergleich am dritthöchsten), wird klar: Wir laufen in Deutschland Gefahr, über unsere Verhältnisse zu leben.
Das ist hinreichend konstatiert worden. Und auch an Ableitungen mangelt es nicht. Mehr in Bildung und Forschung investieren; das Steuersystem reformieren, um bei den Beschäftigten Arbeitsanreize zu erhöhen und die Firmen zu entlasten; strukturelle Veränderungen anschieben, um vor allem Frauen aus der Teilzeitfalle zu holen und die Arbeitszeiten flexibler gestalten zu können; für qualifizierte Zuwanderung sorgen; die schwerfällige Bürokratie auf Vordermann bringen – und bei allem langfristig, verlässlich und pragmatisch planen: Das und vieles mehr sind Maßnahmen, damit einzelne Unternehmen wie unsere Volkswirtschaft insgesamt wieder effizienter werden können.
Wobei es mit Effizienz allein nicht getan ist. Sie braucht immer auch ihren Zwilling – die Effektivität. Das heißt: Nicht nur die Dinge richtig tun, sondern auch die richtigen Dinge tun, um das gewünschte Ergebnis erzielen.
Produktivitätsschub durch KI
Ich möchte an dieser Stelle den Blick auf zwei weitere Faktoren für mehr Effizienz und Effektivität lenken: den Faktor Mensch und den Faktor Maschine. Letzterer trägt den Namen KI. Denn die konsequente Nutzung Künstlicher Intelligenz kann uns einen deutlichen Produktivitätsschub bescheren. Für die Jahre 2025 bis 2030 könnte die Rate dadurch im Schnitt auf 0,9 Prozent steigen, um sich im kommenden Jahrzehnt weiter auf 1,2 Prozent zu erhöhen, wie aus einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft vom Februar dieses Jahres hervorgeht.
Hier lohnt der Blick auf andere Länder. Singapur etwa hat schon vor Jahren ein umfassendes KI-Förderprogramm aufgelegt, um unter anderem die Einführung der Technologie in industriellen Branchen zu beschleunigen. Noch steckt KI in vielen Unternehmen und Industriezweigen nämlich in den Kinderschuhen. In der Chemie etwa, „meiner“ Branche, sehe ich hier ein Riesenpotenzial – für Forschung und Entwicklung, Einkauf und Produktion, für Logistik und Kundenbeziehungen, von der Verwaltung und persönlichen Unterstützung der Beschäftigten ganz zu schweigen. Entsprechend treiben wir bei Covestro die KI-Nutzung überall energisch voran.
Der Produktivitäts-Faktor Mensch trägt den Namen Motivation. Was ich in diesem Zusammenhang in einer anderen aktuellen Studie lese, versetzt mich in Sorge: Nicht einmal jede und jeder zweite Angestellte in Deutschland gibt an, im Job sein Bestes zu geben, so die Unternehmensberatung EY.
Warum das so ist? Häufig hapert es an einer zeitgemäßen Führungskultur, die stärker auf Potentialentfaltung, Qualifizierung, Wertschätzung und Kreativität beruhen sollte. Es braucht Gestaltungsspielraum, Eigenverantwortung und schlanke Entscheidungswege. Außerdem muss die Unternehmenskultur stimmen – die Menschen benötigen ein Umfeld, in dem Fairness und Teamgeist regieren. Und sie brauchen insbesondere auch Sinnstiftung im Wissen darum, mit ihrer Arbeit einen gesellschaftlichen Nutzen zu erbringen und etwas zu bewirken.
Große Ziele anvisieren
Was in der Unternehmenswelt unter dem Schlagwort „Purpose“ läuft, können und sollten wir in den XXL-Maßstab überführen. Auch unsere Volkswirtschaft braucht eine Art Mission. Eines oder mehrere klar definierte ehrgeizige Ziele, auf welche die Nation ihren Fokus und ihre Energien richtet.
Wo dabei unsere Stärken liegen, ist für mich klar: in unserem Erfindergeist. Ihn müssen wir entfesseln, um Großes zu erreichen. Warum wollen wir nicht das Land werden, das KI am besten anwendet? Oder auf dem weltweiten Robotermarkt von Platz fünf auf Platz eins rückt? Oder die Kreislaufwirtschaft zu einem globalen Leitprinzip macht? Oder, oder…
Unser Land steckt voller Möglichkeiten. Wenn wir dann noch die Faktoren Mut und Miteinander weiterentwickeln, kommen wir auch bei der Produktivität wieder nach vorn.
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