Starke Industrie als Stabilitätsanker
In unserer hochkomplexen Welt nimmt das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit zu. Es braucht ein umfassendes Konzept für gesamtgesellschaftliche Resilienz – mit einer starken Industrie als Stabilitätsanker und Zukunftsgestalter.
Verunsicherung, Misstrauen, Überforderung. Leider kommen mir derzeit eher solche Begriffe in den Sinn, um die wohl vorherrschende Gemütsverfassung in der Gesellschaft zu beschreiben. Der Wunsch nach Orientierung und Stabilität in unserer vielschichtigen Welt scheint immer ausgeprägter zu werden. Womit vielfach die fatale Neigung zu vereinfachenden Lösungen, Polarisierung und autoritären Ordnungsprinzipen einhergeht. Eine Tendenz, die auch in Deutschland spürbar ist, wo mit der Bundestagswahl Ende Februar die Frage verknüpft ist, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird.
Damit aber diffuse Ängste nicht stetig weiter um sich greifen, braucht es ein neues, breiteres Verständnis von Sicherheit, ein umfassendes Konzept für gesamtgesellschaftliche Resilienz. Insofern bin ich froh, dass jetzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die ich besuche, trotz des Schwerpunktes auf Geopolitik auch gesellschafts- und umweltpolitische Themen wie „demokratische Resilienz“ und Klimasicherheit auf der Tagesordnung stehen.
Denn Sicherheit ist in unserer fragilen Welt weit mehr, als sich für militärische Konflikte zu wappnen, hybriden Bedrohungen zu begegnen oder Kriminalität zu bekämpfen. Sicherheit heißt auch, wieder überlebensfähige Ökosysteme zu schaffen und für inklusivere Gesellschaften zu sorgen. Themen, die immer noch zu wenig zusammengedacht und ganzheitlich angegangen werden.
Nachhaltiges Wachstum: Basis für Stabilität
Es geht aber noch um mehr: Eine resiliente Nation, ein funktionierendes globales System muss auch auf nachhaltigem Wachstum und Wohlstand fußen. Und dafür braucht es eine starke Industrie. Sie ist in meinen Augen das Fundament für politische Autonomie, für den Erhalt der Umwelt, die Bekämpfung des Klimawandels und eine stresstolerante Gesellschaft.
Eine starke Industrie – das ist, zumindest bislang, auch die Chemiebranche, mit 480.000 Beschäftigten und 225 Milliarden Euro Umsatz einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige in Deutschland und Europa. Chemikalien, Pharmazeutika, Kunststoffe sind Impulsgeber für viele Innovationen und Ausgangspunkt zahlloser Güter des täglichen Lebens. Und sie bilden das Rückgrat, um ein Land wie unseres am Laufen zu halten.
Wie systemrelevant etwa die Pharmabranche ist, hat uns allen die Corona-Krise gezeigt. Viele andere Beispiele lassen sich leicht finden. Etwa bei der kritischen Infrastruktur: Die Daten- und Stromkabel, die Deutschland mit der Welt verbinden, halten nur dank Kunststoffen den rauen Bedingungen in den Ozeanen Stand. Oder im Hinblick auf wirtschaftliche Autarkie: Als führende Exportnation ist Deutschland auf sichere Seewege angewiesen. Ohne Lacke und Beschichtungen der Chemieindustrie wären die Frachter weniger haltbar und ressourceneffizient.
Ich will hier aber kein Loblied auf „meine“ Branche singen. Sondern an ihrem Beispiel betonen: Um stark zu bleiben, um die Zukunft mitzugestalten, muss die industrielle Basis in Deutschland nicht nur erhalten bleiben, sondern gestärkt werden. Im Moment bröckelt sie hingegen gefährlich ab.
Um den Trend zu stoppen, liegen viele gute Vorschläge auf dem Tisch. Bürokratie, Energiekosten, Steuern senken. Verkehrswege, Digitalisierung, Bildung, europäische Integration ausbauen. Zukunftstechnologien und das Potenzial aller Menschen fördern. Punkte, die von der nächsten Bundesregierung beherzigt und konsequent umgesetzt werden müssen.
Das A und O für alles ist mehr Aufgeschlossenheit und Zusammenarbeit, über die ganze Breite. Der 2023 aufgelegte „Operationsplan Deutschland“ der Bundeswehr etwa – um den Bogen zur Sicherheitskonferenz zu schlagen – zeigt auf, wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft im Verteidigungsfall sinnvoll ineinandergreifen.
Ein Ansatz, den wir zum Normalfall machen sollten. Damit das Potenzial der Industrie für eine nachhaltige, prosperierende und widerstandsfähige Zukunft voll zum Einsatz kommen kann.
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